Auf dem Weg zu Schulen der Zukunft

von Daniel Hunziker, Leiter Schulen der Zukunft, Auszug aus Beitrag in »Schulentwicklung systematisch gestalten«, Arnold, Prescher (Hrsg), 2014, Carl Link Verlag

 

1. Kollektive Impotenz oder am Anfang war das Jammern

Wie sagt es Eckhart von Hirschhausen so schön: »Die Menschen haben in ihrem Frontalhirn keinen Frontallappen, sondern einen Jammerlappen«. Bei den Menschen im Schulumfeld sieht das so aus: Die Schüler können nichts bewirken, weil die Lehrer eh nicht auf sie hören. Lehrer sind machtlos, weil sie die Vorgaben des Lehrplanes erfüllen müssen, gegen die Übermacht der kindlichen Biographie und gegen gleichgültige Elternhäuser eh nichts ausrichten können. Eltern fühlen sich Lehrern gegenüber ohnmächtig, weil Schule halt so ist wie sie ist und jegliches Aufbäumen gegen die Lehrerschaft nur wieder gegen ihr Kind gerichtet würde. Schulleiter können auch nichts tun, da sie ja lediglich eine operative Funktion inne haben und die strategische Ausrichtung der Schulbehörden umsetzen müssen. Die kommunalen Schulbehörden wiederum sind durch die schulgesetzlichen Rahmenbedingungen gebunden und die zuständigen Ministerien sind ihrer Wählerschaft verpflichtet und operieren auf gesetzlichen Grundlagen, so dass ihnen auch die Hände gebunden sind.

 

So sind alle Beteiligten des Systems Schule ohnmächtig und machtlos und alles bleibt wie  es schon immer war und ist, obschon alle – die Schüler noch am wenigsten – wissen, dass Schule so wie sie ist, weder kindgerecht noch lernförderlich ist. 90% des Gelernten wird vergessen, weil unnützes und kaum sinnhaftes Wissen vermittelt wird, sieben von zehn Kindern erleben immer wieder angstvolle Situationen in ihrem Schulalltag. Prüfung- und Versagensangst sind nebst sozialen Ängsten die am stärksten verbreiteten Ängste, unter denen Schülerinnen und Schüler leiden. Wenn nicht Angst die Grundstimmung der Kinder erfüllt, dann stehen sie zumindest unter massivem Druck, obschon die Hirnforschung längst belegen kann, dass die Kinderhirne mit Freude lernen müssten, damit Lernen effektiv wäre.

 

Der Punkt ist der, dass zwar im vorigen Jahrhundert Pflichterfüller gebraucht wurden, welche in den Fabriken brav machten, was an sinnleerer Arbeit von ihnen verlangt wurde, die Schule von heute jedoch noch nicht bemerkt hat, dass nicht mehr eine Masse von gehorsamen Bürgern, sondern selbstdenkenden Menschen, welche für sich, ihren Mitmenschen und ihrer Umwelt gegenüber Verantwortung übernehmen, benötigt werden. Die Schule der Zukunft muss die Potentialentfaltung der Schülerinnen und Schüler und der Lehrerinnen und Lehrer ins Zentrum ihrer Zielsetzungen rücken und nicht mehr das Verabreichen von Lerninhalten. Insbesondere Lehrpersonen sind meist Menschen, welche erfolgreich das alte Schulsystem durchlaufen hatten und dies nur deshalb konnten, weil sie selber erfolgreich angepasste Pflichterfüller waren. Wie denn sollten sie auf einmal autonome, mutige, selbstdenkende und kreative Persönlichkeiten sein, die sich zutrauen, etwas zu bewegen? Eltern und Behörden kennen meist nur das, was sie in ihrer Schulkarriere selber erlebt haben und wissen es nicht besser. Und die Kinder – sie nehmen in der Regel die Schuld auf sich, wenn sich etwas nicht gut anfühlt. Wie sollen sie wissen, dass es auch anders gehen könnte?

 

2. Innenwelt und Aussenwelt

Kinder wachsen heute in einem Familien- und Schulumfeld auf, das darauf ausgerichtet ist, äusseren Anforderungen gerecht zu werden. Natürlich leben wir in einer Gesellschaft, welche hohe Anforderungen an seine Menschen stellt. Nur, 1. erkranken immer mehr Menschen daran. Laut einer WHO-Studie wird Depression im Jahr 2020 die zweithäufigste Erkrankung weltweit sein, die die Arbeitsfähigkeit der Menschen massiv einschränkt. Es ist also mehr als fragwürdig, ob eine Gesellschaft es sich leisten kann, mit dem Fokus auf Nutzeneffizienz weiterhin Arbeitskräfte wie Zitronen auszuquetscht. 2. Die Ausrichtung äusseren Erfordernissen gerecht zu werden führt dazu, dass Schulen und Familien Menschen produzieren, die selber nicht mehr spüren, nicht mehr wissen, was sie können, was sie brauchen, gern haben, welche Ziele sie aus einer intrinsischen Motivation heraus erreichen wollen und bereit wären, sich mit Engagement für eigene oder gemeinsame Ziele einzusetzen. Die Ausrichtung eines Bildungs- und Erziehungssystem auf Disziplinierung, Gehorsam und Erfüllung fremder Anforderung, erzeugt passive, respektive nur auf Anordnung aktive Menschen, welche nicht kreativ, sondern angepasst, nicht aus Eigeninitiative, sondern aus der Motivation belohnt oder der Angst bestraft zu werden handeln. Auf die Ressourcen der Begeisterung, Kreativität und des Engagements kann unsere Gesellschaft heute aber nicht mehr verzichten.

 

Was wir deshalb brauchen, ist eine Schule, an der Kinder und Jugendliche während ihrer gesamten Schulzeit immer wieder erleben, dass sie etwas bewirken können, dass sie eigene Ideen umsetzen und ihre Bemühungen, Früchte tragen, dass sie mutig etwas anpacken können, dass sie getragen werden, wenn sie scheitern und dass ihnen noch öfter Dinge gelingen und ihr Tun auch für andere Menschen bedeutsam ist. Dazu braucht es ein Bewusstsein von Eltern und Lehrpersonen, das es ganz zentral ist, dass Schülerinnen und Schüler an ihren Schulen in Kontakt bleiben mit ihrer Innenwelt, mit ihren Ideen, Wünschen, Neigungen und Talenten, auch wenn dies aus der Sicht des alten Denkens von Schule als Zeitverschwendung angesehen wird.

 

3. Initiative Schulen der Zukunft – für eine Kultur der Potentialentfaltung

Die Initiative Schulen der Zukunft, welche vom deutschen Hirnforscher Prof. Dr. Gerald Hüther und mir ins Leben gerufen wurde, setzt genau an diesen Punkten an.  Sie formuliert acht Aspekte potentialentfaltender Bildung und potraitiert Schulen, welche bereits heute die Umsetzung einer Kultur der Potentialentfaltung gelingt. Die Idee ist, deutlich zu machen, was potentialentfaltende Bildung ist und Schulen vorzustellen, die eine solche Bildung bereits heute umsetzen. Dadurch wird es möglich, nicht durch Belehrungen, Moralisieren oder Kritik Lehrpersonen und Eltern vor den Kopf zu stossen, sondern durch das Aufzeigen, wie es anders möglich wäre, einen Sog, eine Sehnsucht zu bewirken, für die Schulkinder dasselbe zu wollen.

 

3.1. Acht Aspekte potentialentfaltender Bildung

Die ersten vier im Folgenden dargestellten Aspekte von Potentialentfaltung sind Bereiche, die Kinder in ihren Bildungsinstitutionen erleben sollten, damit ein fruchtbarer Nährboden entstehen kann, in dem Potentialentfaltung möglich wird.

 

3.1.1. Lernen mit Freude

Kinder kommen bereits mit der Prägung auf die Welt, dass sie Herausforderungen vorfinden möchten, mit denen sie über sich hinauswachsen können. Dementsprechend suchen sie von selbst Aufgaben, mit deren Bewältigung sie sich weiter entwickeln können. Da sie über unterschiedliche Voraussetzungen verfügen (Körperbau, familiäres Umfeld, individuelle Reifeentwicklung), sind auch die Aufgaben, an denen sie wachsen können unterschiedlich. Lernen mit Freude ist deshalb auch eine individuelle Angelegenheit. Keine noch so gut vorbereitete Unterrichtslektion kann gewährleisten, dass Kinder sich daran erfreuen. Was es braucht, ist die Erkenntnis der Lehrpersonen, dass es Zeit und Räume im Unterrichtsalltag braucht, in denen Schülerinnen und Schüler sich mit dem zeigen können, was ihnen Freude bereitet und welches die Aufgaben sind, an denen sie wachsen können.

 

Nicht dass es einfach schön und erstrebenswert wäre, dass Kinder mit positiven Emotionen lernen können, es ist schlicht eine Notwendigkeit. Denn das Hirn nimmt nur das auf, wofür es sich begeistern kann und was für die Lernenden sinnhaft ist. Gelerntes kann nicht dazu dienen, es zielgenau an Prüfungen wieder ausspucken, sondern nutzbar zu sein, wenn es in sinnhaftem Handeln verwendbar wird. Da sich Lerninhalte immer verknüpft mit den Emotionen während des Lernprozesses im Hirn speichern, ist das Wissen auch nur in Verbindung mit diesen Emotionen wieder abrufbar. Logisch, dass Gelerntes, welches mit Angst, Druck und Stress gelernt wurde, nicht mehr abgeruft werden möchte. Denn wer möchte diese Gefühle ein zweites Mal erleben? Es zeugt von einer unglaublichen Ignoranz dessen, wenn 90% des Gelernten an unseren Schulen wieder vergessen geht.

 

Lernen und Lehren mit Freude basiert auf der Grundhaltung einer gleichwürdigen Beziehung und auf den Erkenntnissen der modernen Hirnforschung, wie Lernprozesse effektiv und nachhaltig stattfinden können. Daher soll Bildung in dialogischen Prozessen zwischen Lernenden und Lehrenden stattfinden. Anstelle des Lernstoffverabreichers tritt die Rolle als Lerncoach. Der Schüler, welcher passiv vorgefertigte Lerneinheiten konsumiert, wird zum aktiven Mitgestalter seiner Lernprozesse.  

 

3.1.2. Würde und Integrität

Sich gegenseitig mit Würde und Achtung begegnen, ist die Basis gelingender Beziehung und erfolgreichen Lernens, weil damit die Integrität des Menschen respektiert und geschützt wird. Was Kinder mehr als alles andere brauchen, ist ihnen entgegengebrachtes Vertrauen. Wenn Kinder Lehrpersonen vertrauen und sich ihnen anvertrauen können, sich bei ihnen aufgehoben fühlen und sein dürfen wer sie sind, dann können sich Schülerinnen und Schüler aus einer Entspanntheit heraus ihren Lernprozesse widmen. Ist dies nicht der Fall, ist ihre Integrität bedroht, führt es im schlimmsten Fall dazu, dass die archaischen Notfallprogramme im Stammhirn anspringen: Flucht, Angriff oder Erstarrung. Fruchtbares Lernen ist in einer solchen Verfassung der Überlebenssicherung schlicht nicht mehr möglich.

 

Die Lernbegleiter an einer Bildungseinrichtung sind als Erwachsene stets für die Beziehungsqualität verantwortlich - nie die Kinder. Beziehungskompetenz ist die Bereitschaft Verantwortung für die Beziehungen zu Schülerinnen, Schülern und Eltern zu übernehmen und deshalb das, worüber Lehrpersonen verfügen müssen, um innerhalb des Schul- und Familiensystems würdevolle Beziehungen einzugehen, zu gestalten und Konflikte auszutragen. Entwicklungsfördernde Beziehungen weisen daher eine Erziehungskultur auf, die ohne Angst, Bestrafung und Belohnung auskommt. Stattdessen finden respektvolle Dialoge statt.

 

3.1.3. Selbstwirksamkeit

Was wir schon längst wussten und die Hirnforschung nun auch nachweisen kann ist, dass kein Mensch einem anderen etwas beibringen kann, dass jemand einen anderen Menschen unterrichten kann.

 

Wenn wir etwas lernen, dann immer deshalb, weil wir eigenaktiv handelnd daran beteiligt sind. Und wenn wir davon auch noch nachhaltig etwas behalten sollen, dann braucht es dazu positive Emotionen, damit sich in unserem Hirn Vernetzungen bilden können, die ermöglichen, dass das Gespeicherte auch wieder nutzbar abgerufen werden kann.

 

Kinder (Erwachsene natürlich auch) in Schulen und Kindergärten müssen also Freude, ja Begeisterung für das empfinden können, was sie lernen. Dies kann nicht erreicht werden, wenn sie als passive Lernkonsumenten auf die Verabreichung einer Bildungsration warten, sondern wenn sie eigenaktiv sich um ihre Bildung kümmern und sich und das, was sie erarbeiten, als sinnhaft und wertvoll erleben können.

 

Mit Eigenaktivität ist nicht gemeint, dass Kinder eine grosse Aktivität ausüben, um von der Lehrperson aufgetragene Arbeiten zu erledigen, sondern selber aktiv sind, Ideen zu kreieren, eigene Lösungen und Wege zu erarbeiten und selber Zielsetzungen formulieren und diese eigenverantwortlich verfolgen. Fächer, wie »Herausforderungen« und »Verantwortung«, wie dies beispielsweise die Evangelische Schule Berlin Zentrum eingeführt hat, sind wunderbare Umsetzungsbeispiele hierfür.

 

Mit Selbstwirksamkeit ist unabdingbar Eigenverantwortung für eigene Lernprozesse verknüpft. Mit Eigenverantwortung ist Verantwortung für das »Eigene« gemeint. An Schulen muss deshalb ständig nach dem »Eigenen«, nach dem individuell oder kollektiv Sinnhaften gesucht werden. Ansonsten wird Eigenverantwortung damit verwechselt, dass Kinder und Jugendliche »eigenverantwortlich« Dinge erledigen sollen, welche von anderen ausgedacht wurden, was zu Gehorsam, nicht aber zu Eigenverantwortung führt.

 

3.1.4. Lebensbedürfnisse

Die Achtung grundlegender Lebensbedürfnisse ist Voraussetzung, damit sich menschliches Potential entfalten kann. In der Biographie der Kinder gibt es im Laufe ihres Aufwachsens immer wieder Stationen, bei denen es wichtig ist, dass grundlegende Lebensbedürfnisse erfüllt werden, damit Wachstum möglich wird. Es geht also nicht darum, was Kinder möchten, sondern was sie brauchen. Was sie möchten ist nicht immer das, was sie brauchen. Das, was sie brauchen, müssen wir ihnen jedoch zwingend geben, damit Wachstum und Lernprozesse gelingen. Das eine vom anderen zu unterscheiden, ist wohl eine der grössten pädagogischen Herausforderungen in den Familien und Schulen.

 

Primäre Lebensbedürfnisse sind, sich in einer Gemeinschaft aufgehoben zu fühlen, über sich hinauswachsen und sein Wesen zum Ausdruck bringen zu dürfen und sich als Teil der Natur erleben können.

 

Werden primäre Lebensbedürfnisse nicht befriedigt, entstehen sekundäre Ersatzbedürfnisse. Diese zeigen sich auch dadurch, dass das, was Kinder wollen, nicht das ist, was sie brauchen.

 

Die Trendthemen Inklusion/Integration und ADHS fallen ebenfalls in diesen Entwicklungsbereich und werden nicht aus der Symptom- und Defizitoptik, sondern aus der Sicht der Befriedigung von primären Lebensbedürfnissen angesehen.

 

Die Achtung der Lebensbedürfnisse »...meint deshalb alle Kinder - ohne Ansehen der Art oder des  Schweregrades ihrer Beeinträchtigungen, ihrer tiefgreifenden Entwicklungsstörungen oder unzureichenden Möglichkeiten, ihre Affekte und Emotionen zu steuern und sozial kompetent zu handeln.« (Feuser, G.: Eine zukunftsfähige „Inklusive Bildung” – keine Sache der Beliebigkeit! - 06/2012)

 

Die folgenden vier Aspekte beschreiben Bereiche, welche für die Institution Schule zentral sind, damit sie sich den ersten vier potentialentfaltenden Aspekten widmen kann.

 

3.1.5. Systeme und Netzwerke

Kein noch so gutes Bildungskonzept ist wirksam, solange nicht alle beteiligten Menschen und Aspekte miteinbezogen werden, die auf das Gelingen Einfluss haben. In diesem Entwicklungsbereich wird genau dieser Punkt beleuchtet. Systeme und Netzwerke, die Einfluss auf den Bildungsalltag an Kindergärten und Schulen haben sind: Klassen-, Schulgemeinschaft, Familien, Gemeinde/Region, Vernetzung mit anderen Schulen, fachliche Mitgliedschaften. Um eine effektive Schulentwicklung in Richtung einer potentialentfaltenden Schulkultur in die Wege zu leiten, bedarf es deshalb der Zusammenarbeit aller beteiligten Menschen eines Schulsystems: Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler, Eltern, Schulleitungen, kommunale Bildungsbehörden und Bildungsministerien. Der Weg muss fort von der gegenseitigen Beschuldigung hin zum konstruktiven Dialog führen, an dessen Ende jeder Verantwortung in seinem Bereich für einen Kulturwandel an unseren Schulen übernimmt.

 

3.1.6. Führungskultur

Genau so wie auf der Ebene von Lernenden und Lehrenden der Beziehungskultur entscheidende Bedeutung zukommt, ist in einer Bildungseinrichtung die Führungskultur zentral. Supportive Leadership ist die potenzialentfaltende Führungskultur, respektive die würdevolle und inspirierende Form der Beziehung zwischen Vorgesetzten und ihren Mitarbeitern. Genau so wie es die Aufgabe von Lehrenden ist, in ihren Schülerinnen und Schülern für nachhaltiges Lernen Begeisterung zu entfachen und sie aktiv an ihrem Lernprozess zu beteiligen, so ist es die Aufgabe von Vorgesetzten, ihre Mitarbeiter begeistern zu können und sie zu aktiven Mitgestaltern werden zu lassen, die ihr volles Potenzial entfalten können. Mitsprache, Transparenz, Vertrauen und die Aufforderung Neues und Unbekanntes auszuprobieren, sind genau so einladende Aspekte im Führungsverhalten von Vorgesetzten, wie der ausdrückliche Wunsch, »Fehler« machen zu dürfen und aus diesen zu lernen.

 

3.1.7. Image und Finanzen

Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Übereinstimmung darüber, wie eine gute Schule aussieht gross. Heute habe die meisten Schulen (zumindest in den Schulleitungsschubladen) ein eigenes Profil und die Ausrichtungen und Philosophien können sehr unterschiedlich sein. So ist es zu einer neuen Aufgabe jeder Bildungseinrichtung geworden, sich nach aussen zu erklären und sich ein gutes Image aufzubauen. Gelingt dies staatlichen Einrichtungen nicht, stehen immer mehr Privatschulen zur Auswahl. Aber auch die privaten Bildungseinrichtungen müssen ein Profil haben und dieses nach aussen »verkaufen«, um überleben zu können. An Privatschulen nimmt die Finanzierungsfrage einen zentralen Stellenwert ein. Aber auch an staatlichen Schulen stehen immer höhere Anforderungen an Schulleitungen und Lehrpersonen im Kontrast zu stetig begrenzteren finanziellen Ressourcen. Diese sinnstiftend im Dienste einer potenzialentfaltenden Bildung einzusetzen muss der Fokus sein.

 

3.1.8. Betriebsorganisation

Jede Organisation muss sinnvoll und für ihren Zweck dienlich strukturiert sein. Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten helfen, dass organisatorische und administrative Abläufe reibungslos und effizient stattfinden und so Raum für pädagogische Arbeit und Beziehungszeit grösser werden. Für jede Bildungseinrichtung ist eine andere Betriebsorganisation richtig und auch im Laufe der Zeit wieder anders. Es gibt staatliche Kindergärten und Schule, die stärker in Strukturen und Vorgaben der Gemeinden eingebunden sind und private Betriebe, welche flexibler Anpassungen vornehmen können. Wichtig ist es, die individuell dem Zweck der Einrichtung dienlichste und effizienteste Betriebsorganisation zu finden und hierzu im Sinne eines systemischen Vorgehens mit allen Beteiligten eines Schulsystems in Dialog zu treten.

 

4. Beispiele potentialentfaltender Bildung

 

4. 1. Modellschulen

Die Visionen einer potentialentfaltenden Schule und die Gründe, weshalb eine solche notwendig und anzustreben ist, wurde weiter oben beschrieben. Wie die Umsetzung einer solchen Vision aussehen könnte zeigen Schulen, welche bereits heute eine solche Schulkultur leben. Im Folgenden stelle ich drei solcher Schulen vor.

 

4.1.1. Lindenschule Oberkirch, Schweiz

Losgelöst von üblichen Mustern wurde an der Lindenschule eine neuartige Struktur aufgebaut: Die familiäre Tagesschule befindet sich auf einem Bio-Knospen-Bauernhof mit Wiesen, Getreidefeldern, einem direkt angrenzenden Bach und einem Wald. Verschiedene Tiere wie eine Mutterkuhherde, Hühner, Hunde und Katzen beleben das Schulareal. Die Schülerinnen und Schüler erleben hier direkt im Schulalltag am eigenen Körper alle Jahreszeiten, sie springen durchs unwegsame Gelände, klettern Abhänge und Bäume hoch und runter, erleben und wirken mit beim Aussäen und Ernten in der Landwirtschaft, beobachten die Geburt eines Kalbes, kosten frisch gepressten Most, oder backen und kochen mit „eigenen“ Produkten. Dieses Umfeld lässt die Schülerinnen und Schüler im Leben richtig ankommen, und es bietet eine  sinnhafte Lernumgebung zur Förderung der Selbst- und Sozialkompetenzen.

Die Kinder leben an vier Tagen pro Woche und mit nur rund sieben Wochen Betriebsferien pro Jahr von morgens bis abends an der Schule. So bleibt ausreichend Zeit, um miteinander zu singen, zu putzen, zu plaudern, Fussball zu spielen, in der Werkstatt zu arbeiten, und für vieles mehr. Viele Schülerinnen und Schüler arbeiten und spielen in analoger Weise zu Hause weiter; die Trennung zwischen Schule und Elternhaus, zwischen Schulzeit und Lebenszeit löst sich oft auf. Dies erfordert ein gutes Zusammenspiel und viel Vertrauen zwischen Eltern und pädagogischem Team. Auch der Austausch unter den Eltern trägt massgeblich zum Gelingen bei.

Mit rund 30 Kindern im Alter von 4 bis 15 Jahren ist eine individuelle Schulung selbstverständlich. Im gemeinschaftlichen Zusammenleben liegt ein Schlüsselpunkt zur Persönlichkeitsentwicklung: Im Spiegel der anderen lernen alle ihre eigenen Stärken und Schwächen kennen, und sie lernen, für die eigenen Bedürfnisse einzustehen und sich dennoch einzugliedern, sowie Initiative zu ergreifen oder Kompromisse zu finden. Kein Wunder, dass die Begleiterinnen und Begleiter hier mit offenem Herz und intensiver Eigenreflexion, mit Freude und Begeisterung in den Alltag mit den Kindern und Jugendlichen eintauchen müssen.

 

Zwei Schüler der Lindenschule sagen über sie:

„Die Ferien sind so langweilig, ich gehe lieber in die Schule. Warum braucht man eigentlich Ferien?“

Schülerin 5. Klasse, während der vierwöchigen Sommerferien.

 

„Eine Schule die Spass macht, viel draussen mit / in der Natur gespielt wird und die Schüler auch die Möglichkeit haben, Gedanken, Arbeiten, Vertiefungen zu Ende zu führen ... auch wenn gerade ein anderes Schulfach im "Stundenplan" steht.“

Schüler 4. Klasse

 

Weiter Informationen zur Lindenschule: www.lindenschule.ch

 

4.1.2. Evangelische Schule Berlin Zentrum, Deutschland

Wer Friederike und Miriam nach ihrem Lieblingsfach fragt, der bekommt eine unerwartete Antwort: Herausforderung. Herausforderung ist in der Evangelischen Schule Berlin Zentrum (ESBZ) ein ganz normales Schulfach, genau wie Verantwortung. Herausforderung als Unterrichtsfach heisst, dass die Schüler jedes Jahr für drei Wochen unterwegs sind, allein oder in kleinen Gruppen. In dieser Zeit gilt es, eine persönliche Herausforderung zu meistern. Selbst gewählt und irgendwo außerhalb von Berlin.

150 Euro stehen jedem zur Verfügung. Geld, von dem die Jugendlichen alles bezahlen müssen: Anreise, Essen und Unterkunft. Letztes Jahr war Friederike mit einigen Freundinnen in Schleswig-Holstein unterwegs, per Rad. Dort haben sie an Schulen Klima-Projekte vorgestellt, ein Thema, das gut in das Selbstverständnis ihrer eigenen Schule passt. Mit ihrem Geld sind die Schülerinnen gut ausgekommen, jede von ihnen hatte sogar noch 60 Euro übrig. Dieses Jahr wollen die Mädchen auf einen Bauernhof nach Frankreich und dort arbeiten, um Essen und Unterkunft zu verdienen. Ein Kontakt nach Hause ist nicht vorgesehen. Allerdings gibt es ein Nottelefon für besorgte Mütter und Väter. Angst haben die Eltern aber eigentlich immer nur im ersten Jahr. Danach wissen sie, dass ihre Kinder stärker zurückkommen, als sie gefahren sind. Und sie wissen, welche Chancen die Herausforderungen ihren Kindern bieten.

 

Verantwortung ist ein weniger zeitraubendes und aufwendiges Fach. Hier gehen alle Schüler für mehrere Stunden pro Woche „in die Gesellschaft“. Sie sind Spielplatzpaten, machen Hausunterricht für ein schwer rheumakrankes Kind, betreuen geistig behinderte Erwachsene, besuchen mit ihnen Veranstaltungen oder geben Computerkurse für Senioren – kurz: Sie bringen sich ein in die Gesellschaft.

 

Herausforderung und Verantwortung als Schulfächer – das sind nur zwei von vielen Dingen, die „anders“ sind an der Evangelischen Schule Berlin Zentrum. Lernbüro-Fächer sind (fast) die einzigen „klassischen“ Schulfächer an der ESBZ. Stehen bei ihnen die individuelle Arbeit und Organisation im Vordergrund, geht es im Rahmen der Projektarbeit, der Werkstätten sowie auch der Klassenlehrerstunden vor allem um das Gemeinsame und das „Eingebundensein“.

 

Weiter Informationen zur Evangelischen Schule Berlin Zentrum: www.ev-zentrum.de

 

4.1.3. Lernwerkstatt im Wasserschloss Pottenbrunn, Österreich

Die Lernwerkstatt versteht sich als Ort, an dem der Selbstwerdungsprozess des Kindes auf physischer, emotionaler, sozialer kognitiver und spiritueller Ebene geschützt und gefördert wird. Die rein kognitiven Entwicklungsbereiche des Pflichtschullehrplanes sind nur ein Teil der vielfältigen Arten des Lernens.

Den Kindern und Jugendlichen soll ermöglicht werden, ein tragfähiges Selbstwertgefühl zu bewahren, bzw. zu entwickeln, ihr Leben kreativ, selbstbestimmt und verantwortungsbewusst in die Hand zu nehmen, lösungsorientiert und eigeninitiativ zu handeln, Verständnisstrukturen aufzubauen, ihre eigenen Fähigkeiten real einzuschätzen, Konflikte konstruktiv zu bewältigen, kooperationsbereit zu handeln und allem Leben mit Achtung und Ehrfurcht zu begegnen.

Zwei ehemalige Schülerinnen der Lernwerkstatt im Wasserschloss sagen über ihre Schulzeit:

"Lernwerkstatt ist für mich keine Schule, sondern eine Art (= Kunst) zu leben. Ich bin jetzt seit 3 Jahren „draußen in der freien Wildbahn“ und hab alle möglichen und unmöglichen Ausbildungen, Praktikas, Kurse, Selbststudien und Projekte durchgezogen, in dieser Zeit. Jetzt gerade hat es mich ans Mozarteum Salzburg verschlagen – zum Bühnengestaltung studieren –ohne Matura. Aber eigentlich hat sich nicht viel verändert. Ich tue worauf ich Lust habe, lerne unaufhörlich und genieße die Möglichkeiten, die mir das Leben dazu bietet. Und versuche etwas weiterzugeben, von dem großen Schatz, den ich geschenkt bekam: Dem ganz tiefen Vertrauen, dass alles, was wir brauchen in uns drin ist, und wir alle Wunder sind."

Mirjam, 18 Jahre

 

"Kranksein, das war das schlimmste für mich. Dass ich mal zwei Tage nicht in die Schule kann. Noch in der Nacht beim Fiebermessen habe ich meine Mutter angefleht, dass es morgen früh wieder weg sein soll, das Fieber."

Valerie, 20 Jahre

Weiter Informationen zur Lernwerkstatt im Wasserschloss: www.lernwerkstatt.ws

 

4.1.4. Potentialentfaltende Projekte

Es gibt einzelne Organisationen und Gruppierungen, welche effektive Umsetzungen gefunden haben, um Elemente potentialentfaltender Bildung beispielhaft an Schulen zu bringen. Auch dies ist ein Weg, Schulen zu zeigen, wie Schule in beschriebenem Sinne anders aussehen kann. Im Folgenden stelle ich vier Projektpartner von Schulen der Zukunft vor, welche solche Projekte in den Alltag unserer Schulen bringen können.

 

4.2.1. Ideenbüro

Das Ideenbüro ist eine Anlaufstelle für Fragestellungen aller Art in einer Schule. Es ist ein Freiraum, in dem Kinder ihr Potenzial und ihre Vielseitigkeit leben, zeigen und für andere nutzbar machen können.

Grössere Kinder (meistens die ältesten im Schulhaus)  arbeiten in kleinen Gruppen während einer Schulstunde pro Woche im Ideenbüro. In einem Briefkasten werden die Anfragen laufend gesammelt. Die jüngeren Kinder melden sich per Anmeldeformular an. Danach werden diese zur Lösungs- und Ideenfindung eingeladen.

Es können sich natürlich auch Erwachsene mit einer Frage an das Ideenbüro wenden. Wenn keine Post im Briefkasten ist,  entwickeln die Kinder selber Ideen, machen neue Erfindungen oder arbeiten an Projekten zur Verbesserung der Schulkultur.

Aussagen der Kinder: „Im Ideenbüro ist man der Lehrer ohne Lehrer!“ (Tobias, 12 J.)               

„Seit es das Ideenbüro gibt, habe ich immer mehr Ideen, und die Ideen werden immer besser!" (Marc, 11J.)

„Das Gute ist, dass wir Kinder uns selber helfen können!“ Lea, 12J.)

 

Kerngedanke des „Ideenbüros“ ist die Beratung von Kindern durch Kinder. Das Projekt besteht seit 10 Jahren und hat seither bei vielen Konflikten unter Kindern zur Lösung beigetragen. Durch die gemeinsam erarbeiteten Regeln, die Wirkung der Peergruppe und das Bemühen, Konflikte zu benennen und anzugehen, trug das Ideenbüro wesentlich zur Verbesserung der Klassenatmosphäre und der Schulhauskultur bei. Damit haben die Lehrpersonen einen Grundstein für das gegenseitige Verständnis und für gemeinsames Erleben und Handeln – eine Voraussetzung für das Aufwachsen von Kindern in einer multikulturellen Gesellschaft – geschaffen.

Für einmal sind nicht ideale Rahmenbedingungen (mehr Geld, mehr Raum, kleinere Klassen) gefragt, sondern Lehrkräfte, die bereit sind, Wirksames zusammen mit und für die Kinder zu schaffen.

 

Das erste Ideenbüro hat die Lehrerin Christiane Daepp in einer vierten Klasse aus einer Krisensituation heraus gegründet. Heute gibt es mehr als fünfzig Ideenbüros in Schulen der ganzen Deutschschweiz. Kein Ideenbüro ist gleich wie das andere – die Gestaltung und die Inhalte richten sich nach den Fähigkeiten und den Interessen der Kinder, die im Ideenbüro arbeiten. Es entsteht eine grosse Vielfalt und Farbigkeit an Ideen und Projekten. Die einfache, klare Struktur lässt viel Raum für Eigenes zu. Die Kinder erleben sich als selbstwirksam. Sie lernen in Alternativen zu denken, erweitern ihren Handlungsspielraum und haben so mehr Handlungsmöglichkeiten. Sie werden zuversichtlich, was die Lösung ihrer eigenen Probleme und die täglichen Herausforderunegn des (Schul-) Alltags betrifft.

 

Mit Hilfe des Vereins ideenbüro.ch wird die Idee getragen, verbreitet und ständig weiterentwickelt, auch für Erwachsene und für Institutionen ausserhalb der Schule.

 

Mehr zum Ideenbüro: www.ideenbuero.org

 

4.2.2. explore-it: erforschen, erfinden und mehr...

Kinder im Grundschulalter wollen die Welt handelnd und forschend erfahren und entdecken. Technik und Naturwissenschaften sind ein wichtiger Teil unserer Lebenswelt und eignen sich hervorragend, der angeborene Neugierde und Entdeckerfreude der Kinder zu erhalten und zu fördern. Wenn es fährt, fliegt- ja wenn es „etwas tut“, leuchten die Augen und vor allem: die Hände wollen unbedingt mit anpacken. Die Fragen nach dem »Wie kann ich selber etwas zum Funktionieren bringen?« und »Wie funktioniert denn das?« sind hochspannend. Für Lehrerinnen und Lehrer sind diese Situationen aber auch sehr herausfordernd- vor allem dann, wenn klar wird, dass die rein sprachliche Erklärung nicht hinreichend genügt, sondern dass es handfeste Taten und Werke dazu braucht. Explore-it liefert nicht nur geeignete Lernmittel sondern auch das den Anleitungen und Aufgabenstellungen entsprechende einfache und anschlussfähige Werk- und Experimentiermaterial.

Jeweils zwei Kinder erhalten eine Materialbox, die es ihnen erlaubt selbständig technische Objekte zu einem Thema zu bauen, diese Objekte dann zu beforschen und selber eigene technische Ideen umzusetzen. Beim Thema Windkraft beispielsweise können die Kinder ihr Windmessgerät, ihren Flugdrachen, ihr Windrad das tönt und ihre kleine Strom produzierende Windturbine bauen. Nach dem Bau des Windrades aus Trinkhalmen, Holzstäben, PET-Folie und anderem einfachsten Material wird das selbst Gebaute natürlich getestet, verbessert, repariert...: „Wie muss die Flügelstellung sein, dass mein Rad schneller läuft?“, „Wer hat es geschafft, dass sich der Rotor immer schön in den Wind dreht?“ „Wie hast du das gemacht, dass das dein Windrad so laut tönt?“ „Welchen Wind hält es aus und wie kann man es auf dem Balkon aufhängen?“ Die Kinder haben durch den Bau Freude am Objekt und interessieren sich für seine Funktion, Veränderungen daran, den Einsatz dieser Technik im Alltag...

 

Neben dem Erforschen von Phänomenen rund um technische Anwendungen, werden die Kinder auch angeregt eigene Erfindungen zu machen. Vor dem Bau des Windmessgeräts beispielsweise sollen sie selber mit einfachem Material Windrichtung und –stärke zu messen versuchen. Nicht selten, nehmen die Kinder hier spannende technische Konzepte vorweg, denen sie dann im Anschluss beim Bau der oben genannten Objekte begegnen.

 

Der gemeinnützige Verein explore-it, der aus einem Forschungs- und Entwicklungsprojekt der Pädagogischen Hochschulen des Kantons Wallis PHVS und der Fachhochschule Nordwestschweiz PH FHNW entstanden ist, bietet Lernmittel an, die es auch nicht-spezialisierten Lehrkräften erlauben, Technik im Unterricht für Kinder ab 9 Jahren spannend zu erleben. In der Schweiz ermöglichen es Gönner, dass die Kinder die entstandenen Objekte behalten und mit nach Hause nehmen können. 

 

Mehr zu explore-it auf www.explore-it.org

 

4.2.4. buddY e.V.

Kinder und Jugendliche stark machen und eine positive Umgangs-, Lehr- und Lernkultur entwicklen - das ist das Ziel des Buddy-Projektes (BuddY -> engl. Kumpel) 

 

Das buddY-Programm basiert auf einem systemischen Ansatz und setzt auf vier Bausteine: Peergroup-Education, Lebensweltorientierung, Partizipation, Selbstwirksamkeit.

 

Je nachdem, wie stark ausgeprägt diese in einer Schule bereits vorhanden sind (oder eben nicht), entwickelt der buddY-Lehrer Projektideen mit seinen Schülern. Wichtigstes Ziel: Stärken forcieren und Schwächen abbauen. Die meisten Projekte unterstützen alle vier Bausteine – in unterschiedlicher Gewichtung.


 

Peergroup-Education: Schüler handeln als Experten in eigener Sache:

Die Peergroup-Education geht davon aus, dass Kinder und Jugendliche oft mehr Vertrauen zu Gleichaltrigen haben, einander beeinflussen, voneinander lernen und gegenseitig von ihren Erfahrungen profitieren. Dabei erwerben sie persönliche Kompetenzen wie Kommunikations- und Reflexionsfähigkeit. Im Zentrum der Peergroup-Education steht das Empowerment – mit welchem Kinder und Jugendliche befähigt werden, als Experten für die eigenen Belange zu handeln.

 

Lebensweltorientierung: Schüler lernen in Alltagssituationen:

Das Programm orientiert sich an den aktuellen Bedürfnissen und Interessen der Schüler. Sie sind maßgeblich an der Projektentwicklung beteiligt, lernen in Alltagssituationen und an realen Problemen ihres sozialen Lebens.

 

Partizipation: Beteiligung von Schülern fördern:

Das buddY-Programm fördert die Möglichkeiten von Schülern und Pädagogen, ihre Schule aktiv mitzugestalten. Alle sind dabei, wenn es darum geht, ein neues buddY-Projekt umzusetzen, alle Entscheidungen werden gemeinsam gefällt. Dabei sind immer Schüler die Impulsgeber, ihre Ideen und Kompetenzen werden ernst genommen.

 

Selbstwirksamkeit: Selbstvertrauen bei Schülern schaffen:

Schüler, die sich als BuddYs engagieren, erkennen, dass sie mit ihrem Engagement etwas verändern können. Diese Selbstwirksamkeitserfahrung – die Erkenntnis, mit dem eigenen Können und Engagement etwas zu bewirken und Probleme zu meistern – ist grundlegend für die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls.

Mehr zum buddY e.V.: www.buddy-ev.de

 

5. Ins Handeln kommen

Es fehlt uns nicht die Übereinstimmung, dass Kinder mit Freude lernen sollen, dass sie an ihren Schulen würdevolle Beziehungen erleben können, dass man ihren Lebensbedürfnissen gerecht werden soll und sie selbstwirksam tätig sein können. Es fehlt am Umsetzungsvermögen, an Ideen und am Mut dafür zu sorgen, dass dies auch geschieht, an der Courage etwas zu riskieren, etwas auzuprobieren, was man noch nicht kennt, bereit zu sein, ein wenig Kontrolle aufzugeben und die klaren Visionen zu haben, wie die Schule der Zukunft konkret aussehen soll.

 

So wie wir uns verhalten, das was wir tun, ist aus dem gespiesen, was wir erlebt haben, was unsere Erfahrungen waren. Diese Erfahrungen sind in unserem Frontalhirn verfestigt als Haltung abgespeichert. Wenn sich an unseren Schulen etwas ändern soll, braucht es deshalb zweierlei: 1. Visionen, starke Bilder und neue Erfahrungen, damit wir in einen Sog geraten, der uns von der Zukunft her zu Veränderungsprozessen führt. 2. Wir müssen uns gemeinsam auf den Weg zu einer neuen Schulkultur machen. Denn nur wenn Lehrer, Schüler, Schulleiter, Eltern und Bildungsbehörden sich einig werden, in welche Richtung am Seil der Schulkulturveränderung gezogen werden soll, können wir wirklich etwas bewegen.

 

Die Visionen und Orte neuer Erfahrungen habe ich weiter oben beschrieben. Wie können wir nun vorgehen, um systemisch an einer Schule gemeinsam ins Handeln zu kommen? Einerseits können wir andere Menschen im Schulumfeld von unseren Visionen erzählen, Informationsveranstaltungen organisieren, Menschen begeistern und sie inspirieren, selber für einen Veränderungsprozess aktiv zu werden. Zum anderen können wir uns dort einbringen, wo Schule noch nicht gelingt. Eltern können bei Lehrpersonen und Schulleitungen aktiv werden, wenn ihre Kinder vor Druck fast zusammenbrechen, wo sie gedemütigt werden oder die Freude am Lernen verlieren. Lehrpersonen können auf Eltern zugehen, die ihren Kindern zu grossen Druck machen oder sie vernachlässigen oder sie können bei ihren Schulleitern vorstellig werden, wenn sie in der Masse bürokratischer Arbeiten untergehen, sie hilflos sind, weil sie nicht wissen, wie sie die an sie gerichteten Anforderungen nach Lernstofferarbeitung und dem Gerechtwerden kindliche Bedürfnisse zu befriedigen erfüllen sollen. Schulleitungen können das Gespräch mit den kommunalen Schulbehörden suchen, wenn sie nicht wissen, wie sie vor lauter administrativen Aufgaben und Kriseninterventionen Zeit für eine Schulentwicklung in Richtung einer potentialentfaltenden Schule finden sollen oder wie sie Lehrpersonen, die kurz vor dem Burnout stehen, helfen können. Schulbehörden können das Gespräch mit Verantwortlichen der Kultusministerien suchen, wenn sie die Not der Kinder, Lehrpersonen, Eltern und Schulleitern sehen, aber den Eindruck haben, dass ihnen die Hände gebunden sind, weil über ihnen eine gesetzgebende Instanz steht, denen gegenüber sie sich ohnmächtig fühlen. Bei alle diesen Schritten ist es besonders wichtig, nicht mit Vorwürfen an sein Gegenüber heranzutreten, sondern aufzuzeigen, was nicht gut läuft, seine Vorstellungen zu erläutern, wie es besser gehen könnte und sein Gegenüber einzuladen sich nun gemeinsam darum zu kümmern, eine Entwicklung in Gang zu setzen. Der Grundtenor muss in etwa lauten: »Ich erkennen, dass etwas nicht gut ist, damit Kinder und Lehrpersonen in ihrem Schulalltag menschenwürdig und effektiv lernen und lehren können, ich habe eine Vision wie es sein könnte und erzähle dir gerne davon. Und weiter brauche ich dich nun, um gemeinsam einen Weg zu suchen, damit wir dort hin kommen - und ich werde solange wieder kommen, bis wir es besser machen.«

 

Einzelne Personengruppen (Schülerorganisationen, Klassen, Schülergruppierungen, Elternvereine, Lehrerkollegien, Schulleiterkonferenzen, Behördenmitglieder oder alle gemischt) organisieren sich für ihre Anliegen am besten, um sich über ihre Anliegen, Sorgen, Bedürfnisse und Visionen zu verständigen und um sich gegenseitig für anstehende Gespräche oder geplante Veranstaltungen zu unterstützen. Es braucht Mut, sich mit seiner Unzufrieden zu zeigen, besonders dann, wenn es um seine eigenen Kinder oder seine Berufsexistenz geht oder um Anliegen, welche entgegen ein seit Jahrhunderten etabliertes Schulsystems gerichtet ist.

 

6. Zusammenfassung oder der Weg zu einer potentialentfaltenden Schulkultur

 

6.1. Sich über die eigenen Visionen klar werden.

Die grundlegende Frage hierbei sollte sein: 1. Was brauchen die Kinder von ihrer Schule und Familie, um ihrem Wesen entsprechend aufwachsen und effektiv lernen zu können. 2. Welche Schulabgänger mit welchen Qualitäten und Kompetenzen benötigt unsere heutige Gesellschaft? 3. Wie sind beide Anliegen miteinander vereinbar. Antworten hierauf sind in diesem Artikel aufgeführt und unter www.schulen-der-zukunft.org mit vertiefenden Artikeln und konkreten Dokumenten nachzulesen.

 

6.2. Gleichgesinnte suchen

Nur gemeinsam wird es möglich sein, einen Kulturwandel an unseren Schulen zu erreichen. Wo finde ich Gleichgesinnte meiner Personengruppe (Eltern, Schüler, Lehrer, etc.), die ich für meine Visionen begeistern kann? Wo finden wir andere Personengruppen, die wir mit unseren Anliegen ansprechen können und mit denen wir in einen Dialog treten können? Wie finden wir zu einer gemeinsamen Bewegung zusammen, die uns die Kraft und Mut verleiht, engagierte Umsetzungsversuche zu initiieren?

 

6.3. Erste Schritte

Mit dem Einverständnis der Beteiligten und der gegenseitigen Rückenstärkung lässt es sich nun leichter mutige erste Schritte gehen. Lehrer können beispielsweise beginnen, auf Belohnungs- und Bestrafungssysteme zu verzichten und stattdessen mit dem »Ideenbüro« die Kinder selber zuständig werden lassen und für ihre Probleme Verantwortung zu übernehmen. Lehrer, Schulbehörden und Eltern können Projekte starten, welche Eltern dabei unterstützen ihrer Hilflosigkeit zu begegnen, wenn es darum geht statt eines stundenlangen Medienkonsums Alternativen für die Kinder aufzubauen. Schüler können nun gemeinsam mit ihren Lehrpersonen und den Eltern Versuche starten, wie der Schulunterricht auch ohne Angst und Druck gestaltet werden kann. Und manchmal braucht es auch Zivilcourage gemeinsam für Schritte einzutreten, die für die Entwicklung von Kindern und deren Lernprozesse sinnvoll und richtig oder für das Wohlbefinden der Lehrpersonen in ihrem Schulalltag wichtig ist einzutreten, auch wenn es andere Personengruppen im Schulumfeld gibt, welche dies nicht so sehen.

 

6.4. Fehlerkultur und die Kunst des Scheiterns

Jeder Versuch etwas Neues, Anderes zu versuchen, birgt die Gefahr in sich, zu scheitern. Die Weisheit »Nur aus Fehlern lernen wir« muss endlich auch für die Lerninstitution Schule gelten. Versuche dürfen scheitern, ohne dass gleich mit dem schadenfreudigen Zeigefinger auf die mutigen Initianten gezeigt und zurück zum Althergebrachten geschritten wird. Dann braucht es halt einen zweite oder dritten Versuch. Im Scheitern ist es wichtig, nicht in die Opferhaltung und Schuldzuschiebungsmentalität zu rückzufallen, sondern weiter gemeinsam nach nächsten Schritten Ausschau zu halten. Notabene leben wir den Kindern damit genau das vor, was Lernen und Wachstum eigentlich bedeutet: Neues zu erforschen, Erfahrungen zu machen und aktiv handelnd und gestaltend zu lernen.

 

6.5. Hartnäckigkeit

Das was wir tun - unser Verhalten ist gegründet aus unseren Haltungen. Unsere Haltungen wiederum gründen auf vielen gemachten Erfahrungen. Soll sich nun bei Lehrpersonen, Eltern, Schülern neues Verhalten entwickeln – das was sie letztendlich im Schul- oder Familienalltag tun, braucht es viele neue Erfahrungen, so dass sich eine neue Haltung, ein neuer Geist an einer Schule oder in einer Familie entwickeln kann. Dazu braucht es ein gewisses Mass an Hartnäckigkeit und Ausdauer, wirklich dahin zu kommen, wirklich zu einer neuen potentialentfaltenden Schulkultur zu gelangen. Es braucht deshalb in solchen Veränderungsprozessen Menschen, die dieses Feuer immer wieder am Leben erhalten, dran bleiben, wenn etwas nicht glückt, wenn etwas schwierig ist oder kein Weg gesehen wird. Wie im alten afrikanischen Sprichwort » Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen«, braucht es auch für einen Kulturwandel an unseren Schulen eine ganze Bewegung von Menschen, die an die Vision einer potentialentfaltenden Schulkultur glauben und sich für sie unermüdlich einsetzen.